Empirische Wirtschaftsforschung und Ökonometrie


 

 

Das Department für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg verabschiedete


Herrn Prof. Dr. Klaus W. Schüler

 

nach fast dreißigjähriger Tätigkeit an der Universität.

Seine Verabschiedung und „Stabübergabe“ erfolgte in einer Feierstunde,                          

 des Departments

 


Nach der Würdigung durch Prtof. Dr. Hans-Michael Trautwein und vor der programatischen Rede des Nachfolgers auf der Professur, Prof. Dr. Jürgen Bitzer erfolgte Prof. Schüler Stabübergabe:

 

Stabübergabe und Danksagung

 

 

Musikstudenten aus Bremen, Tao Song und Guiyan Wang, schaffen einen musikalischen Bogen  mit  Cello und Kniegeige, Klarinette und Kürbisflöte zwischen West und Ost.

 

1

Einleitung

ich danke Ihnen und euch allen, dass Sie und ihr zu meiner Verabschiedung heute gekommen seid: frühere und heutige Kollegen meiner 29 Jahre hier , ehemalige Uni-Präsidenten, KontaktlehrerInnen, MitarbeiterInnen und StudentInnen aus West und Ost, aber auch Freunde, Familie und Förderer.

Da ich meine Arbeit hier an der Carl von Ossietzky Universität fast stets geliebt habe, verabschiede ich mich nur mit Wehmut

.

Vor etwa 50 Jahren begann ich in Freiburg im Breisgau das Studium der Volkswirtschaftslehre, nachdem erste Anläufe des Klavierstudiums am Konservatorium in Düsseldorf noch während der Schulzeit und nach dem Abitur des Germanistikstudiums in Freiburg von mir aufgegeben worden waren.

Ich habe dann 5 Jahre in Freiburg, München und Kiel, durchaus mit Erfolg, studiert und anschließend 15 Jahre am IFO Institut in der volkswirtschaftlichen Abteilung gesamtwirtschaftliche Modelle für Deutschland entwickelt und im Rahmen von Auftragsarbeiten angewendet. Natürlich versuchten die Auftraggeber dort häufig, dass in den Forschungsergebnissen nichts veröffentlicht wurde, was ihren Interessen widersprach. So empfand ich es als große Erleichterung, vor fast genau 30 Jahren den Ruf auf eine Professur für empirische Wirtschaftsforschung und Ökonometrie an die junge Reformuniversität in Oldenburg von Wissenschaftsminister Pestel zu erhalten.

Seither arbeite ich hier, nicht nur als Hochschullehrer, sondern auch als Mitglied von allen möglichen Gremien, im Senat, als Dekan und in unzähligen Kommissionen.

Im Verwaltungsbereich war diese Tätigkeit oft durch erbärmlichen Finanzmangel beeinträchtigt. So standen in der Anfangszeit dem ganzen Institut für Volkswirtschaftslehre weniger freie Mittel zur Verfügung als mir alleine zuvor im IFO-Institut als wissenschaftlichem Referenten.

Auch im Bereich der Lehre mussten zunehmend Rückschläge im Hinblick auf die ursprünglichen reformerischen Ideen in Kauf genommen werden. Einphasige Lehrerausbildung und Projektstudium ade.

Aber ich genoss trotzdem die neu gewonnene Wissenschaftsfreiheit in Forschung und Lehre, mit im Laufe der Zeit mehren Tausenden von Studenten und Prüfungen und insbesondere auch in der Zusammenarbeit mit meinen Kollegen am Fachbereich für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften unter der Firma Carl von Ossietzkys.

Ich freue mich, dass viele meiner ehemaligen Kollegen, Mitarbeitern, und Studierenden  heute hier sind, angefangen bei Dieter Sterzel, den ich schon 1963 als Bundesvorsitzenden des SDS und Freund kennen gelernt hatte, während ich noch Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein war. Es ist unmöglich, alle einzeln zu benennen, auch wenn mir einige genauso wichtig wie Dieter waren.

Es sind zum Teil weit angereist gekommene Angehörige meiner weit verzweigten Patchworkfamilie anwesend, die für meine berufliche Tätigkeit notwendige Voraussetzung und  mitformend waren, ohne dass das für Außenstehende offensichtlich sein mag. Von 4 Generationen sind etwa 50 % anwesend.

Auch sehe und begrüße ich Lehrer aus den verschiedenen Schulen, mit denen zusammen ich über 20 Jahre lang Nichtabiturienten geprüft habe, ob sie sich hinreichend für ein Hochschulstudium in Niedersachsen qualifiziert haben.

Aus einer Initiative Oldenburger Studierender ist überdies der gemeinnützige Verein Jugendberatung e.V. entstanden, der die Arbeit mit Abhängigen von illegalen Drogen in Norwestdeutschland ambulant und stationär durchführt. Ich gehöre dem ehrenamtlichen Vorstand seit fast 20 Jahren an und begrüße meine Mitvorstände und auch ehemalige Mitarbeiter aus unseren Einrichtungen.

Bei meinen alten Kollegen hat in den vergangenen Jahren eine Verabschiedung in rasend raschen Folgeraten stattgefunden, nachdem wir alle innerhalb weniger Jahre  das Pensionierungsalter erreichten.  Am Schluss war ich im Institut der Älteste, nachdem ich anfangs der Jüngste war. Mir wurde allerdings auf meinen Wunsch hin eine Nachspielzeit von vier Jahren eingeräumt.

 

Und:

ist jetzt alles zu Ende?

 

Dazu ein Gedicht von Helmut Heißenbüttel

 

 

2 Gedicht: zur Beendigung von

helmut heißenbüttel


das Sagbare sagen

das Sagbare sagen
das Erfahrbare erfahren
das Entscheidbare entscheiden
das Erreichbare erreichen
das Wiederholbare wiederholen
das Beendbare beenden

das nicht Sagbare
das nicht Erfahrbare
das nicht Entscheidbare
das nicht Erreichbare
das nicht Wiederholbare
das nicht Beendbare

das nicht Beendbare nicht beenden
 

 

 

 

3 Stabübergabe statt Beendigung

 

das nicht Beendbare nicht beenden, wie geht das?

Ich habe Verabschiedungen von dieser Universität erlebt, die mich an Beerdigungen erinnerten. Es fehlten beim tieftraurigen Händeschütteln am Schluss nur noch die Trauerkränze. So was wollte ich nicht.

Da fiel mir ein: virtuelle Stabübergabe statt Beerdigung.

Auch keine neue Idee, aber eine die mir wichtig ist.

Mir wurden Stäbe übergeben in Erziehung und Ausbildung zuhause und in der Schule, beim Studium und im sozialistischen Studentenbund. Und später dann in der Forschung von meinen wichtigsten Lehrern Hanns-Joachim Rüstow und Claude Hillinger, von denen ich lernte wie man mit dynamischen Ungleichgewichtsmodellen gesamtwirtschaftliche Prozesse erklären, prognostizieren und beeinflussen kann, wenn man diese Modelle nicht nur theoretisch formuliert sondern auch streng anhand der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung schätzt und überprüft. Somit hatte ich auch widersprüchliche Lehrmeister zum SDS und zu Keynes, den ich in Kiel in Erich Schneiders Vorlesungen und Seminaren kennen gelernt hatte. Denn Rüstow war ein wichtiger wirtschaftspolitischer Berater der Liberalen in Deutschland und Hillinger ein ehemaliger konservativer Chicago-Boy, der als Kind mit seinen Eltern vor den Nazis aus Deutschland geflohen war.

 

 

 

4 Ein Highlight meiner wissenschaftlichen Tätigkeit:

 

ich war ungefähr halb so alt wie heute, als mir eine Idee kam - wie ein Blitz überfiel sie mich - wie ich mathematisch exakt eine kapitalistische Wirtschaftsstruktur modelliere, in der stets moderne und altmodische Produktionsmethoden gleichzeitig und unterschiedlich rentabel nebeneinander existieren. Im Zeitablauf kommen ständig neue, noch effizientere Methoden hinzu und scheiden alte aus, die ganz früher mal die modernsten waren. Rüstow hatte diesen Zusammenhang schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts – als „stirb und werde“ - in seinen Produktivitätsgefällediagrammen beschrieben. Mir gelang es, ihn formal exakt zu fassen und auch für Deutschland anzuwenden. Die blitzartige Idee kam mir zugeflogen, fast ohne mein Zutun, das erinnerte mich an meinen früheren Lieblingsdichter, Rilke, wie dem die Duineser Elegien zugeflogen kamen.

Eine ganz ähnliche Idee hatte aber bereits ein amerikanischer Nobelpreisträger wenige Jahre zuvor gehabt, und als ich das erfuhr, war ich zunächst einigermaßen betrübt. Im Endeffekt stellte sich aber heraus, dass ich mit meinen Forschungen auf dem richtigen Weg war, Erfolg hatte, und im Unterschied zu dem Amerikaner sogar in der Lage war, meine Theorie praktisch für die Erklärung der Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft anzuwenden.

Seitdem begleitet mich die Analyse gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsgefälles überallhin, auch nach Indien (in den neunziger Jahren) und nach China (in den letzten 10 Jahren).

Ich freue mich, dass einige meiner früheren Mitarbeiter anwesend sind, die diese Ideen aufgenommen und zum Teil weiterentwickelt haben.

 

 

 

 

5 Stabübergabe an meinen Professur-Nachfolger

 

Mit meinem Abschied verabschiedet sich nicht die empirische Wirtschaftsforschung aus der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Eins der Ziele der ursprünglichen Reformuniversität war ja auch (neben einphasiger Lehrerausbildung und Projektstudium) gewesen, die Theorie aus ihren Elfenbeinturm herauszuholen und mit der Realität zu konfrontieren. Professor Bitzer als mein Nachfolger im Fachgebiet „angewandte Makroökonomie“, hat hier bereits  angedeutet, wie es damit fachlich weitergehen wird. Sein Werdegang erinnert mich in vielem an meinen eigenen:

-    er hat Erfahrungen in einem empirischen Wirtschaftsforschungsinstitut,

-    er hat den Absprung von dort in die Hochschule geschafft,

-    der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit liegt im Bereich der dynamischen gesamtwirtschaftlichen Analyse, und       

 -   er ist fast genauso alt heute, wie ich es war, als ich nach Oldenburg kam.

Bei diesen idealen Voraussetzungen gebe ich gerne den Stab meines Fachgebiets an ihn weiter. Und wünsche ihm für seine Lehr- und Forschungstätigkeit in Zukunft viel Freude und Erfolg.

Im übrigen arbeiten auch fast alle anderen Kollegen unseres Instituts inzwischen nicht mehr nur-theoretisch.

 

 

 

6 Stabübergabe an meinen Nachfolger als Chinabeauftragter

 

Nachdem ich mich hier zunächst 10 Jahre lang im wesentlichen mit der Analyse der deutschen Wirtschaft beschäftigt hatte, danach etwa weitere 10 Jahre lang auch die indische Gesamtwirtschaft untersucht habe, brachten mich meine chinesischen Studenten in den letzten 10 Jahren dazu, mit zahlreichen chinesischen Universität  Kontakte anzuknüpfen, Korporationen zu vereinbaren und wissenschaftlichen Austausch zu betreiben. Nach anfänglich fremdelndem Zögern habe ich diese Aufgabe im Laufe der Zeit mit wachsender Begeisterung auch als Chinabeauftragter unsrer Universitätsleitung wahrgenommen. Es gelang mir dabei, ein umfangreiches Netzwerk an verschiedenen chinesischen Universitäten aufzubauen, das unter anderem mich chinesische Kultur und Gastfreundschaft bewundern und lieben gelehrt hat.

Aber auch in dieser Funktion muss ich meinen Stab nun weitergeben. Ich freue mich und bin glücklich, dass ich in Michael Trautwein einen engagierten und kompetenten Nachfolger gefunden habe, der nicht nur mein Kollege und Freund sondern auch Begleiter mehrerer meiner Chinareisen gewesen ist, und auch bereits eigene hochrangige wissenschaftliche Kooperationsprojekte mit chinesischen Wirtschaftswissenschaftlern eingeleitet und durchgeführt hat. Gerne werde ich in Zukunft ihm helfend zur Seite stehen, wenn es darum geht, die bisher bestehenden Netzwerke fruchtbar weiterzuführen.

 

 

 

7 Danksagungen

 

zum Schluss möchte ich mich bedanken:

zunächst bei allen Anwesenden, dass sie gekommen sind, teilweise von weit her, um mit mir diese für mich so einschneidende Veranstaltung zu feiern.

Dann bei allen, die dazu beigetragen haben, dass ich mich an dieser Universität in der Vergangenheit meist so wohl hab fühlen können.

Da ist zunächst das Wissenschaftsministerium, das mich hierher berufen hat und mir mehrmals Forschungs- und Stipendienmittel zur Verfügung gestellt hat, um meinen Aufgaben besser erfüllen zu können.

Da ist die Universitätsleitung, die mich zum Chinabeauftragten ernannt hat, und besonders in den letzten fünf Jahren diese Aktivitäten zunehmend unterstützt hat.

Da sind die zahlreichen Kollegen und Mitarbeiter, denen ich in den letzten 30 Jahren begegnete, und die - genauso wie ich - verändert aus diesen Begegnungen hervorgegangen sind. Ich habe aus diesen Begegnungen viel gelernt, wofür ich dankbar bin. Besonders meinen früheren wissenschaftlichen Mitarbeitern und Sekretärinnen habe ich viel Unterstützung zu danken, ohne die ein so altmodischer Professor will ich seine Gedanken und Initiativen wohl kaum angemessen aufs Papier hätte bringen können.

Last not least möchte ich aber auch den Studierenden danken: wenige stellen sich vor, wie nachhaltig man selber wächst und profitiert, indem man als Lehrer versucht, anderen zum Wachstum zu verhelfen. Mich brachte das dazu, in den letzten Jahren in Abwandlung von Seneca ein Motto an meine Tür zu schreiben, das dafür steht:

Gaudeo docere, ut discam (ich lehre gern, damit ich lerne),

und ich glaube dieses Motto passt gut zu einem Lehrer der Schüler heißt.

 

Zum Schluss noch ein chinesisches Abschiedsgedicht eines Dichters aus dem 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, den in Europa heute fast keiner kennt, von dem auf der Buchmesse in Frankfurt meines Wissens kein einziges Buch vorgestellt wurde, obwohl er in China von größerer Bedeutung ist als im Westen Shakespeare oder Goethe. Jedes Kind kennt ihn dort. Ich lernte seine Gedenkstätte auf 2003 einer meiner Reisen durch die Provinz Anhui am JangtseKiang  kennen. Nur wenige Übersetzungen seiner Gedichte gibt es auf Deutsch. Aber es lohnt sich, sie zu finden: Li Bai,

 

8 Abschiedsgedicht

 

Li Bai,

Abschied.

 

zunächst liest Frau Hou dies Gedicht auf Chinesisch vor:

 

dann,

auf deutsch,

nachgedichtet von Klabund im Jahr 1915:

 

 

das Gestern, dass mich flieht, kann ich nicht halten,

das Heute drückt mich wie ein Frauenschuh.

Die kleinen Wandervögel schon entfalten

die Flügel herbstlich ihrer Heimat zu.

Ich steige auf den Turm, die Arme weit zu dehnen,

und fülle meinen Becher nur mit Tränen.

 

Ob ich, ihr großen Denker, euer werde?

Ich bin gekrönt, wenn mich ein Satz von euch umflicht.

Und meine Füße stampfen wohl die Erde,

doch ach, zum Himmel tragen Sie mich nicht.

 

Wer kann den Springbrunn mit dem Degen spalten?

Wie Öl schwimmt oben auf dem Wein die Not.

Das Gestern, dass mich flieht, kann ich nicht halten.

Ich werf mich in ein steuerloses Boot;

das Haar dem Winde flatternd preisgegeben,

wird mich die Woge auf und nieder heben.

 

 

Nach der

 

9 Abschlussmusik von Tao Song und Guyan Wang

würde ich mich freuen , wenn Sie mit dem einen oder anderen der Gäste und auch mir noch ein paar Worte wechseln könnten.